Lestat de Lioncourt: Der Kampf um die Seele (Teil 20)

Lestat konnte fühlen, wie sich etwas Fremdes in ihm regte—eine dunkle, uralte Präsenz, die nicht seine eigene war. Sein Körper war heiß, sein Blut vibrierte mit einer Kraft, die er nicht kontrollieren konnte.

Akasha war in ihm.

Jahrhundertelang hatte sie geschlafen, verborgen in den tiefsten Winkeln seiner Existenz. Und jetzt, da sie sich offenbart hatte, wusste er nicht, ob er stark genug war, sie zu stoppen.

„Nein…“ murmelte er, während er sich an die kalten Steinwände der Grabkammer lehnte.

„Oh doch,“ hauchte Akasha mit einem siegessicheren Lächeln. „Du hast mich nicht vernichtet, Lestat. Du hast mich bewahrt. Und jetzt, endlich, können wir wieder eins sein.“

Eins sein.

Die Worte hallten in seinem Geist wider, schienen sich in seine Knochen zu graben.

Marius trat vor, seine Miene war steinhart. „Du hast genug Schaden angerichtet, Akasha.“

Akasha musterte ihn mit kaum verhohlener Belustigung. „Oh, Marius, mein treuer alter Wächter. Hast du wirklich geglaubt, dass du mich für immer auslöschen kannst?“

„Wenn ich es könnte, würde ich es tun,“ fauchte er.

Armand legte eine Hand an das Heft seines Dolches. „Lestat… was immer sie mit dir macht—du musst kämpfen.“

Aber konnte er das?

Lestat spürte, wie sich sein Bewusstsein verschob, als ob er durch einen endlosen Tunnel aus Erinnerungen gezogen wurde.

Bilder flackerten vor seinen Augen.

Er sah sich selbst, damals, als Akasha ihn zum „Wolf Gottes“ gemacht hatte. Sah, wie ihr Blut sich mit seinem vermischte, stärker als jede Macht, die er je gekannt hatte.

Er sah sich auf einem Thron sitzen, an ihrer Seite, während die Welt vor ihnen brannte.

Ein König.

Ein Gott.

War es das, was er sein sollte?

„Nein!“ brüllte er, während er sich selbst in die Brust schlug, als wollte er sie aus sich herausreißen.

Akasha lachte.

„Warum wehrst du dich, mein Lestat? Du warst immer für mehr bestimmt.“

Marius griff nach seinem Arm. „Du darfst ihr nicht nachgeben!“

Lestat rang nach Atem. „Ich… ich kann sie nicht loswerden!“

Akasha schüttelte sanft den Kopf. „Doch, das kannst du. Alles, was du tun musst, ist mich zu akzeptieren. Wir könnten die Welt verändern, Lestat. Keine Regeln mehr. Keine alten Götter, die uns im Weg stehen. Nur wir… und das Blut, das uns gehört.“

Ihr Angebot war süß wie Gift.

Und für einen Moment—nur für einen Moment—verstand er, warum sie es tat.

Warum sie glaubte, dass die Vampire die Welt regieren sollten.

Warum sie glaubte, dass sie stärker waren als die Sterblichen, denen sie sich immer wieder anpassen mussten.

Aber dann erinnerte er sich.

Er erinnerte sich an Louis.

An Gabrielle.

An David.

An all die Nächte, in denen er sich gegen sein eigenes dunkles Erbe aufgelehnt hatte.

Und er wusste:

Wenn er nachgab, war er verloren.

„Niemals,“ knurrte er und richtete sich auf.

Akashas Gesicht verfinsterte sich. „Du törichter Junge…“

Ein Riss zog sich durch die Wände der Kammer.

Der Boden bebte, als ob die Erde selbst auf ihren Zorn reagierte.

„Wenn du mich nicht akzeptierst, dann werde ich dich nehmen,“ zischte sie.

Und plötzlich war sie überall.

Ein Schatten in seinem Verstand, eine Stimme in seinem Kopf, eine Welle aus purer Dunkelheit, die ihn zu verschlingen drohte.

Marius packte Lestat an den Schultern. „Kämpfe, verdammt noch mal!“

Lestat schloss die Augen.

Er tauchte in sein Inneres.

In die Dunkelheit.

In den Abgrund, in dem Akasha lauerte.

Und dann tat er das Einzige, was er tun konnte:

Er griff nach ihr.

Er packte ihre Essenz mit seinem Willen, umklammerte sie mit jeder Faser seines Seins.

„Du wirst mich nicht besitzen,“ flüsterte er.

Akasha stieß einen wütenden Schrei aus.

„Lestat! Du kannst mich nicht besiegen! Ich bin die Quelle! Ich bin das Blut!“

„Dann werde ich dich mit mir in die Hölle nehmen,“ knurrte er.

Und mit einem letzten, verzweifelten Ruck—

stieß er sie aus sich heraus.

Ein gellender Schrei erfüllte die Kammer, als ein schattenhaftes Abbild von Akasha aus seinem Körper gerissen wurde.

Ihr Geist zischte durch die Luft, unförmig, zerbrochen—und dann stürzte sie in die Dunkelheit.

Stille.

Dann das Echo eines letzten, zornigen Flüsterns:

„Das ist nicht vorbei…“

Lestat keuchte, sein Körper bebte.

Marius und Armand standen neben ihm, ihre Augen voller Unglauben.

„Du hast es geschafft,“ murmelte David.

Lestat ließ sich gegen die Wand sinken, sein Atem flach.

„Ja…“ flüsterte er. „Aber ich habe das Gefühl, das war erst der Anfang.“

Draußen erhob sich der Mond über Kairo, während tief unter der Erde die Schatten lauerten—wartend.

Denn eine Göttin stirbt niemals wirklich.


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