Lestat de Lioncourt: Die Blutkönigin erwacht (Teil 19)

Die Luft in der unterirdischen Kammer war schwer wie altes Pergament, durchtränkt von vergessenen Schreien und der Essenz uralter Magie.

Lestat stand reglos da, seine goldenen Augen auf die Gestalt vor ihm gerichtet.

Akasha.

Die einstige Blutgöttin. Die Mutter aller Vampire. Die Tyrannin, die einst die Welt mit eiserner Hand regieren wollte.

Und doch war sie hier.

Lestat hatte sie sterben sehen. Hatte gespürt, wie ihr Blut versiegte, wie ihr Körper zerfiel.

Aber jetzt stand sie vor ihm – makellos, strahlend, mit einem Lächeln, das Versprechen und Drohung zugleich war.

„Das kann nicht sein …“ murmelte Marius.

Armand wich instinktiv zurück. „Ich habe es euch gesagt. Sie ist zurück.“

David schien den Atem anzuhalten. „Aber wie?“

Akasha trat einen Schritt vor, ihr seidenes Gewand raschelte kaum hörbar.

„Ihr stellt Fragen, obwohl ihr die Antworten bereits kennt.“

Lestat biss die Zähne zusammen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nur spielte.

„Du bist tot,“ sagte er. „Ich habe es gesehen. Ich war dabei.“

Akasha lächelte sanft, als ob sie einem unartigen Kind nachsah.

„Oh, mein wunderschöner Lestat … Glaubst du wirklich, dass der Tod mich binden könnte?“

Lestat schnaubte. „Bisher hat er einen ziemlich guten Job gemacht.“

Akashas Lächeln vertiefte sich, doch in ihren dunklen Augen loderte ein uraltes Feuer.

„Es gibt Dinge, die selbst du nicht verstehst, kleiner Wolf.“

Lestat spürte, wie sich eine unsichtbare Kraft um ihn legte – nicht gewaltsam, sondern fast liebevoll, wie eine unsichtbare Hand, die seine Haut streichelte.

„Spürst du es?“ flüsterte Akasha. „Das Blut, das in deinen Adern pulsiert? Es gehört mir. Du bist mein Geschöpf, Lestat. Und du wirst immer zu mir zurückkehren.“

Lestat ballte die Fäuste.

Er wusste, dass sie mächtig war. Dass sie ihn vielleicht sogar mit einem Gedanken vernichten konnte.

Aber er war nicht mehr der naive Junge, der sich einst von ihrer Herrlichkeit hatte blenden lassen.

„Ich kehre zu niemandem zurück,“ knurrte er.

Akasha lachte. Ein sanftes, melodisches Lachen, das sich anfühlte, als würde es aus den Tiefen der Zeit selbst stammen.

„Oh, Lestat …“ Sie trat noch näher. „Du denkst, du bist frei? Du denkst, du hast dein Schicksal selbst in der Hand?“

Lestat wich nicht zurück.

„Ich bin Lestat de Lioncourt,“ sagte er mit gefährlichem Unterton. „Ich folge niemandem. Nicht mehr.“

Doch dann flüsterte Akasha einen einzigen Satz – und die Welt um ihn herum veränderte sich.


Das Vermächtnis der Königin

Lestat fühlte, wie etwas in seinem Geist zerbrach.

Bilder fluteten durch seinen Verstand – Erinnerungen, die nicht seine waren.

Er sah sich selbst, doch es war nicht er.

Er sah Akasha, wie sie aus einem steinernen Schlaf erwachte, lange bevor ihre Wiedergeburt durch Maharet und die anderen alten Vampire gestoppt wurde.

Er sah, wie sie sich von ihrem alten Körper löste.

Wie ihr Geist, ihr reines Bewusstsein, sich einen neuen Wirt suchte.

Einen perfekten Wirt.

Und dann traf es ihn wie ein Schlag.

Er war es.

Lestat taumelte zurück, als ihm die Erkenntnis durch Mark und Bein fuhr.

„Nein …“ flüsterte er.

Marius packte ihn an den Schultern. „Was ist los? Was hat sie mit dir gemacht?“

Lestat rang nach Luft, als ob er plötzlich atmen müsste.

Sie war in ihm.

Die ganze Zeit.

Seit er ihr Blut getrunken hatte. Seit er zum „Wolf Gottes“ geworden war.

Ein Teil von ihr … hatte in ihm überlebt.

Akasha lächelte voller Triumph.

„Jetzt verstehst du es, nicht wahr?“

Lestat keuchte. „Du … du bist in mir gewesen. All die Jahre.“

Akasha nickte langsam. „Ich habe geschlafen. Gewartet. Bis der richtige Moment kam.“

Lestat fühlte, wie sich sein Körper heiß und fremd anfühlte. Als ob etwas in ihm erwachte, das nicht er war.

„Nein …“ Er schüttelte den Kopf, trat einen Schritt zurück.

„Oh doch, mein geliebter Lestat.“ Akasha trat näher. „Du hast mich nicht getötet. Du hast mich gerettet. Du bist mein neues Gefäß.“

Marius starrte Akasha ungläubig an.

„Das kann nicht sein.“

Aber Armand war bleich wie der Tod.

„Sie sagt die Wahrheit.“

David flüsterte: „Lestat … was, wenn du nicht mehr nur du bist?“

Lestat blickte auf seine Hände.

Sie zitterten.

Sein Blut rauschte in seinen Adern wie Feuer.

Er spürte es.

Er wusste es.

Akasha war nie wirklich fort gewesen.

Sie hatte nur auf den richtigen Moment gewartet.

Und jetzt war er gekommen.


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