Der entschleunigte Moment oder Die Sekunde der schaukelnden Frau

Wie die Scherben einergeplatzten Erinnerung hält sie die gepflückten Pflanzen und Halmeder einstmals grünen Wiese in der Hand. Sie will nicht vergessen,welches blühende Leben sie berührt, erahnt und im Moment erhaschthat. Sie selber sitzt auf der stillstehenden Schaukel. Ebenfalls eineErinnerung an all die Kraft, den schwingenden Trubel eines bewegtenKörpers. Es scheint fast so, als wenn der Moment gerade selbernichts als eine Erinnerung sei.

Aber nein, er ist nur derPause gleich, die auskostet was sie gerade erfahren hat, um dannFrohgemut auf ein Neues starten zu können. Der Schönheit ihr Blickist in die Ferne gerichtet. Nicht, um sich von Etwas Anderem ablenkenzu lassen, sondern um das Empfinden treiben lassen zu können. Siehat losgelassen, was sie in die Zeiger einer Zeit sperrte. Sie hatsich gelöst von den engen Bestimmungen eines menschlichen Geistesund der Allmöglichkeit die Tür geöffnet.

So betrachtet siegleichermaßen eine Wahrscheinlichkeit als auch die Erinnerung deseinen Momentes, der noch nicht vergangen in ihr selber nachhallt.Denn sie kennt die wahre Kunst der Muße. Die Sekunde mit allenSinnen voll und ganz auszukosten. Jede einzelne Sinneswahrnehmung zuertasten und so das erst graue Bild der verfliegenden Sekunden in diebuntesten Farben zu tauchen. Der Augenblick wird so sehr gefüllt antiefer Wahrnehmung, dass er scheinbar voller Leben undüberschäumender Lebendigkeit trotzt.

Die Schönheit weiß, dasssie nur diesen Moment hat, um diese Sekunde zu erleben. Gleichbereits ist sie vorbei. Und nachher ist sie schon Vergangenheit. Undso friert sie ihr eigenes Erleben ein. In dem sie alle Sinne öffnetund die Zeit des Erlebens anhält. So sehr verlangsamt, dass derPinselstrich einer Erinnerung auch wirklich alles zeichnen kann.

Es scheint fast wie eineübernatürliche Kraft, derer sie sich bedient. Diesen schönen undauch friedlichen Moment für die schlechten Zeiten einzufrieren. Dennwas auch immer in diesem Moment passiert, die Zeit wird es ihr wiedernehmen. Und sich darüber bewusst, dass das Leben von Hoch und Tiefbeherrscht wird, öffnet sie die Tore des tiefsten Inneren, damit sieihn wie ein Geheimnis bewahren kann.

Diese Frau ist nicht andersals Du und Ich. Sie atmet die gleiche Luft und wandelt auf ihren aberauch gleichen Pfaden durch diese unsere Welt. Aber sie, sie machtPausen von dem Trubel dieser Welt. Atmet tief ein und wieder aus,lässt die Sinne sich entfalten und gibt der Sinnlichkeit ihren Raum.

Was sie erhält ist einAbbild dieses einen Momentes, der ohne Technik auf immer flüssig inden Tiefen des Inneren gehalten wird. Und Du als auch Ich könnengenauso verfahren. Indem wir aussteigen aus der Hetze und dem Trubelund für Sekunden nur die Seele und das Ich wirklich und wahrhaftigatmen lassen. Wir und sie brauchen dies. Sonst werden wir genausograu wie die Eintönigkeit des vorbeirauschenden Zuges, der niemalshaltend seiner Endhaltestelle entgegen rast.

Die Magie der Frau aber gehtnoch weiter. Indem sie die Zeit für sich angehalten hat, hat sie einVakuum erschaffen, in dem sie auch uns umfängt. Denn wie wir siebeobachten, so sehr wird die Langsamkeit ihres Momentes auch unsgefangen nehmen. Einem Virus gleich, der durch Blick übertragenwird, werden auch wir zur Entschleunigung gezwungen. Nun, wirbeschweren uns nicht wirklich, denn diese kleine Pause desunscheinbaren Momentes haben wir uns wirklich verdient.

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